Hacktour 1/25: AKW Zwentendorf
Bericht
Am 7. Februar führte die erste Hacktour im Jahr 2025 ins nie in Betrieb gegangene Atomkraftwerk Zwentendorf. Zu Beginn gab es eine kurze geschichtliche Einführung.
Gebaut wurde in Zwentendorf ein Siedewasserreaktor der Baulinie 69. Dieser Typ wurde auch an mehreren Standorten in Deutschland eingesetzt (zB Isar-1 südlich von München).
Mit dem Bau wurde 1972 begonnen, für die Inbetriebnahme fehlte jedoch auch nach Fertigstellung noch die gesetzliche Grundlage. Am 5. November 1978 sprach sich eine hauchdünne Mehrheit (50,47 Prozent) der österreichischen Bevölkerung gegen die Inbetriebnahme des Kernkraftwerks aus. In der Führung wurde erzählt, die Volksabstimmung hätte „Parteien und Familien gespalten“. Leise aus unserer Gruppe: „… aber keine Atome …“.
Anschließend wurde ein Propagandafilm gezeigt, der für die Nutzung der Kernkraft werben sollte. Ein paar Highlights möchte ich textuell hervorheben:
- Zu Beginn erzählt der Film von vorsichtigen Menschen, die vor dem Fortschritt warnen. Gezeigt werden dazu Bilder von Affen, die an Seilen herumturnen.
- Ein Schreckgespenst wird mehrmals herauf beschworen: die Zwangsabschaltung. Die Nutzung von Kernenergie wird als einzige Lösung verkauft, um die drohende Zwangsabschaltung von Strom, Fernsehen und anderer Infrastruktur zu vermeiden.
- Angst vor Strahlung wird nicht nur relativiert, sondern lächerlich gemacht. Zitat: „Strahlung gehört zur Erde – überall“. Auch Vergleiche mit der kosmischen Strahlung werden angestellt. Dann die alles entscheidende Frage: „Was strahlt ein Kernkraftwerk aus? – Sicherheit.“
- Mehrere Experten (ja, alle männlich) erklären, dass eine Explosion eines Kernkraftwerks unter keinen Umständen möglich ist. Wirtschaftlichkeit und Unabhängigkeit verspricht das Video als Zukunft der Kernkraftnutzung.
- Das Video enthält übrigens auch sexistische Darstellungen zB Aufnahmen der Mammographie einer weiblichen Brust. Die Röntgenstrahlung, die bei einer Mammographie verwendet wird, hat mit der radioaktiven Strahlung von Kernkraftwerken absolut nichts zu tun, daher sind diese Aufnahmen vollkommen unpassend.
Das Kernkraftwerk Zwentendorf wurde also aufgrund der Volksabstimmung niemals in Betrieb gesetzt und schon im Dezember 1978 in den Zustand der Stilllegung versetzt. Viele Bauteile wurden verkauft zB für Reparaturarbeiten an anderen Reaktoren derselben Baulinie. Seit 2003 nutzte eine deutsche Gesellschaft das Gelände zur Schulung von Mitarbeiter*innen. Seit 2009 wird tatsächlich Strom produziert – allerdings durch eine auf dem Gelände errichtete Photovoltaik-Anlage. Seit 2011 kann das Kraftwerk im Rahmen von Führungen besichtigt werden (Infos).
Dieser Bericht wird keine tiefergehenden technischen Details enthalten. Nähere Information zur Funktion des Reaktors findet ihr in diesem Vortrag von Regine im Rahmen des Metaday 102: Einführung zur Physik des Kernreaktors Zwentendorf.
Wir werden durch einen Eingang in das Kraftwerk geführt, den auch das Personal benutzt hat. Hier ist an der gelben Wandfarbe (im Unterschied zur grauen Wandfarbe in den Bürogebäuden) zu erkennen, dass eine Kontamination prinzipiell möglich ist. Im Betrieb mussten die Mitarbeiter*innen alle ihre Privatkleidung (inkl. Unterwäsche und Brillen) ablegen und gegen Schutzanzüge tauschen. Ein Kontaminationstest musste vor und nach der Schicht durchgeführt werden. Wir erfahren, dass nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl die Mannschaft eines schwedischen Atomkraftwerks beim Eintritt positiv getestet wurden, weil sie durch den Fallout bereits verstrahlt zur Arbeit kamen.
Weiter geht es in die Brennelementwechselhalle. Ein Wechsel von Brennelementen konnte nur unter Wasser durchgeführt werden. Während der jährlichen Revision werden die am stärksten abgebrannten Brennelemente (ca. 20%) ersetzt. Die weniger stark abgebrannten werden innerhalb des Reaktorkerns an andere Stellen umgesetzt und an den verbleibenden Leerstellen werden neue Brennelemente eingesetzt. Ausgewechselte Brennelemente müssen danach noch vier bis fünf Jahre im Abklingbecken bleiben, bevor sie einer Zwischenlagerung zugeführt werden könnten. Auch hier muss weiter gekühlt werden.
Der Reaktorkern besteht aus 484 Brennelementen mit je 63 Brennstäben und einem Wasserstab. Für je vier Brennelemente ist ein Steuerstab eingebaut, der die überzähligen Neutronen abfängt. Die Umhüllung des Brennelements besteht aus einer Zirkonverbindung.
In der Brennelementwechselhalle sehen wir auch den Reaktordruckbehälterdeckel. Mit einem Gewicht von 60 Tonnen und einem Durchmesser von sechs Metern diente er zum Verschließen des Reaktors.
Der Blick von der Brennelementwechselbühne in den Reaktor ist beeindruckend bis furchteinflößend. Im laufenden Betrieb wäre dieser Bereich vollständig mit Wasser gefüllt gewesen. Das werden wir auch in einem anderen Bereich später noch einmal hören.
Der Reaktor befindet sich in einem kugelförmigen Containment aus druckfestem Stahlbeton (Sicherheitsbehälter), der verhindert, dass im Störfall radioaktive Substanzen oder Wasser in die Umgebung gelangen können. Ein solches Containment war weder im Reaktor von Tschernobyl noch im Reaktor von Fukushima vorgesehen. Für Besichtigungen wurde hier ein großes Loch als Einstieg in das Containment geschnitten. Daher ist es nicht mehr möglich, den Reaktor noch in Betrieb zu nehmen.
Wir bewegen uns im Reaktorgebäude weitere Stockwerke nach unten und dürfen nun einen Ort betreten, wo sich Menschen nur zu Wartungszwecken aufhalten sollten. Dieser Raum wäre im Betrieb des Kraftwerks ebenfalls mit Wasser gefüllt gewesen. 59 große Rohre ragen von oben aus der Richtung des Reaktors. Die Rohre dienen zum Abführen von Dampf und Hitze, falls der Reaktor durch Überhitzung Wasserdampf abgeben würde. Der austretende Dampf würde durch das Wasser abgekühlt und dadurch würde der Druck gesenkt. Diese Rohre befinden sich innerhalb des Containments aber außerhalb des Reaktorgefäßes. Manche Rohre sind durch sternförmig angeordnete gelochte Endstücke verschlossen, um im Katastrophenfall austretendes Wasser und den Druck zu verteilen.
Die Steuerstäbe absorbieren Neutronen und durch Hineinfahren oder Herausfahren derselben wird die Leistung des Reaktors geregelt. Bei einem Siedewasserreaktor – wie er in Zwentendorf verbaut war – befindet sich oben im Reaktorgefäß Dampf, der zu den Turbinen geleitet wird. Daher ist oben kein Platz für die Steuerstäbe. Diese müssen durch Motoren (im Bild grün) von unten in den Reaktor hineingefahren werden. Vollständiges Hineinfahren dauert zwei Minuten. Im Katastrophenfall ist diese Zeitdauer aber viel zu lang – dann werden die Steuerstäbe durch ein hydraulisches System mit großem Überdruck innerhalb von zwei Sekunden hineingeschossen (Schnellabschaltung). Dies ist ein großer Nachteil der Siedewasserreaktoren. Bei Druckwasserreaktoren befindet sich oben kein Dampf; das bedeutet, dass man die Steuerstäbe von oben mithilfe der Schwerkraft hineinfallen lassen kann.
Ein Detail aus dem Steuerstabantriebsraum, der sich unter dem Reaktorkern befindet: Die Leitungen mussten täglich auf Dichtheit geprüft werden. In diesem Raum herrschte jedoch eine hohe Strahlendosis, die Mitarbeiter mussten sich also bei dieser Prüfung extrem beeilen. Seitlich wurde mit einer Taschenlampe in den Glasbehälter hinein geleuchtet, um zu sehen, ob aus einem der Rohrenden Wasser tropft oder rinnt. In diesem Fall müsste die Nummer der undichten Leitung notiert und sofort Notfallmaßnahmen eingeleitet werden. Neben der hohen Strahlendosis herrschte in diesem Raum außerdem eine Lufttemperatur bis zu 60°C.
Im Maschinenhaus sehen wir die Sattdampfturbine mit einer Hochdruckturbine und drei Niederdruckturbinen. Die einzelnen Turbinen sind über eine Welle starr gekuppelt, das bedeutet: Wenn sich eine Turbine dreht, drehen sich alle Turbinen. Genau genommen sehen wir nur drei Niederdruckturbinen, eine wurde als Ersatzteil verkauft. Das ist ungewöhnlich, weil Turbinen für gewöhnlich Maßanfertigungen für einen bestimmten Reaktor sind. Hervorzuheben ist hierbei auch, dass jedes Schaufelrad der Turbine anders konzipiert ist. Sie klingen daher auch unterschiedlich. Wäre das nicht der Fall, würden zu starke Schwingungen entstehen, und die Schaufeln würden stark beschädigt.
Zum Abschluss dürfen wir uns noch im Schaltraum umsehen. Diese Schaltwarte musste immer mit sieben Personen besetzt sein, von denen sich jeweils drei gleichzeitig im Raum befinden mussten. Im Atomkraftwerk Zwentendorf wurde damals auch der erste kommerziell genutzte PC in Österreich verbaut. Davon ist in der Schaltwarte jedoch nur das Steuergerät zu sehen, denn Computer füllten damals noch ganze Räume.
Neben einer Schalttafel mit vielen bunten Knöpfen sind auch mehrere Wählscheibentelefone verbaut. Eines davon zeigt Spuren von roter Farbe. Die Führungsperson erklärt dazu, dass Bundeskanzler Bruno Kreisky damals darauf bestanden haben soll, dass eine Direktleitung vom Atomkraftwerk in sein Büro errichtet werden müsste.
Während unserer Führung durch das Kraftwerk stoßen wir immer wieder auf grün beleuchtete Metalltonnen. Erst am Ende unserer Führung im Schaltraum wird das Geheimnis gelüftet: Im Karikaturmuseum Krems ist bis 29. Juni 2025 eine Ausstellung zu den Simpsons zu sehen: „Hier kommt Bart! Simpsons Cartoon Art aus der Sammlung William Heeter und Kristi Correa“. Die Metalltonnen sind Teil einer Kooperation mit dieser Ausstellung und verbinden die Welt der Simpsons mit der realen Umgebung eines Atomkraftwerks.
„Eine „Simpsons“-Intervention nimmt das Kernkraftwerk in Besitz. Mit einem Augenzwinkern vereint sie die fiktionale Welt der „Simpsons“ mit einem spannenden Kapitel österreichischer Zeitgeschichte.“
Die Tour durch das Atomkraftwerk Zwentendorf war sehr informativ und interessant, vieles konnten wir in diesem Bericht nicht wiedergeben. Für interessierte Personen empfehlen wir die Tour auf jeden Fall.